Darlegungs- und Beweislast im Überstunden- vergütungsprozess

Ein Blick auf die Uhr lohnt
Oder anders gesagt: Warum Überstunden und ihre Notwendigkeit nachgewiesen werden müssen.

Wir alle kennen die Situation: Die Arbeit überstieg erneut alle Erwartungen und kann einfach nicht bis zum nächsten Tag aufgeschoben werden. Eine Situation, die gerade im pflegerischen Bereich alltäglich vorkommt, wo man mit Menschen, Leben und Schicksalen zu tun hat und verschobene Arbeiten zur Gefährdung von Leib und Leben der Patienten führen können. Hier türmt sich so gerne manche Überstunde zu einem Berg an, doch ist die eigenverantwortliche Bestimmung von Mehrarbeit/Überstunden erlaubt?

Das BAG (Bundesarbeitsgericht) hat zu diesem Thema ein interessantes Urteil (5 AZR 359/21) getroffen. In jenem wird die erforderliche Notwendigkeit der Überstunden betont, welche der Arbeitnehmer nachzuweisen hat. 

 

Entsprechend ist der Satz „Der Arbeitnehmer hat[…] erstens darzulegen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden Umfang geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers hierzu bereitgehalten hat. „

 

Was bedeutet das in der Praxis? Ganz klar müssen zwei Dinge gegeben sein:

a) Die Dokumentation der geleisteten Überstunden

b) Der erkennbare Willen des Arbeitgebers, diese Überstunden anzuordnen, zu dulden oder diese nachträglich zu billigen.

 

Im Wortlaut: „…dass der Arbeitgeber die geleisteten Überstunden ausdrücklich oder konkludent angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt hat.

 

Das bedeutet also: Ein, nach eigenem Ermessen, ausgeführter „Mehreinsatz“ über die reguläre Arbeitszeit hinaus, muss erfasst und vor allem notwendig und erwünscht sein. Hierbei ergibt sich im Gesundheitswesen in der Regel kein Nachfragebedarf durch die Arbeitgeber, jedoch sollte man dennoch nie auf eine Absicherung verzichten und die Vorgesetzte Person stets über die angefallene Mehrarbeit unverzüglich informieren.

Die Pressemitteilung im originalen Wortlaut:

Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 4. Mai 2022:

Der Arbeitnehmer hat zur Begründung einer Klage auf Vergütung geleisteter Überstunden

– kurz zusammengefasst – erstens darzulegen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden Umfang geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers hierzu bereitgehalten hat. Da der Arbeitgeber Vergütung nur für von ihm veranlasste Überstunden zahlen muss, hat der Arbeitnehmer zweitens vorzutragen, dass der Arbeitgeber die geleisteten Überstunden ausdrücklich oder konkludent angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt hat. Diese vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Grundsätze zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für die Leistung von Überstunden durch den Arbeitnehmer und deren Veranlassung durch den Arbeitgeber werden durch die auf Unionsrecht beruhende Pflicht zur Einführung eines Systems zur Messung der vom Arbeitnehmer geleisteten täglichen Arbeitszeit nicht verändert.

 

Der Kläger war als Auslieferungsfahrer bei der Beklagten, die ein Einzelhandelsunternehmen betreibt, beschäftigt. Seine Arbeitszeit erfasste der Kläger mittels technischer Zeitaufzeichnung, wobei nur Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, nicht jedoch die Pausenzeiten aufgezeichnet wurden. Zum Ende des Arbeitsverhältnisses ergab die Auswertung der Zeitaufzeichnungen einen positiven Saldo von 348 Stunden zugunsten des Klägers. Mit seiner Klage hat der Kläger Überstundenvergütung in Höhe von 5.222,67 Euro brutto verlangt. Er hat geltend gemacht, er habe die gesamte aufgezeichnete Zeit gearbeitet. Pausen zu nehmen sei nicht möglich gewesen, weil sonst die Auslieferungsaufträge nicht hätten abgearbeitet werden können. Die Beklagte hat dies bestritten.

 

Das Arbeitsgericht Emden hat der Klage stattgegeben. Es hat gemeint, durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 14. Mai 2019 – C-55/18 – [CCOO], wonach die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein objektives, verlässliches und zugängliches Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen, werde die Darlegungslast im Überstundenvergütungsprozess modifiziert. Die positive Kenntnis von Überstunden als eine Voraussetzung für deren arbeitgeberseitige Veranlassung sei jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn der Arbeitgeber sich die Kenntnis durch Einführung, Überwachung und Kontrolle der Arbeitszeiterfassung hätte verschaffen können. Ausreichend für eine schlüssige Begründung der Klage sei, die Zahl der geleisteten Überstunden vorzutragen. Da die Beklagte ihrerseits nicht hinreichend konkret die Inanspruchnahme von Pausenzeiten durch den Kläger dargelegt habe, sei die Klage begründet.

 

Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage – mit Ausnahme bereits von der Beklagten abgerechneter Überstunden – abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte vor dem Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat richtig erkannt, dass vom Erfordernis der Darlegung der arbeitgeberseitigen Veranlassung und Zurechnung von Überstunden durch den Arbeitnehmer auch nicht vor dem Hintergrund der genannten Entscheidung des EuGH abzurücken ist. Diese ist zur Auslegung und Anwendung der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und von Art. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ergangen. Nach gesicherter Rechtsprechung des EuGH beschränken sich diese Bestimmungen darauf, Aspekte der Arbeitszeitgestaltung zu regeln, um den Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten. Sie finden indes grundsätzlich keine Anwendung auf die Vergütung der Arbeitnehmer.

 

Die unionsrechtlich begründete Pflicht zur Messung der täglichen Arbeitszeit hat deshalb keine Auswirkung auf die nach deutschem materiellen und Prozessrecht entwickelten Grundsätze über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess. Hiervon ausgehend hat das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen, der Kläger habe nicht hinreichend konkret dargelegt, dass es erforderlich gewesen sei, ohne Pausenzeiten durchzuarbeiten, um die Auslieferungsfahrten zu erledigen. Die bloße pauschale Behauptung ohne nähere Beschreibung des Umfangs der Arbeiten genügt hierfür nicht. Das Berufungsgericht konnte daher offenlassen, ob die von der Beklagten bestrittene Behauptung des Klägers, er habe keine Pausen gehabt, überhaupt stimmt.

 

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 4. Mai 2022 – 5 AZR 359/21 –
Vorinstanzen: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 6. Mai 2021 – 5 Sa 1292/20 – und Arbeitsgericht Emden, Teilurteil vom 9. November 2020 – 2 Ca 399/18 –

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Sascha Faber

1985 geboren in Eschweiler. 2005 Zivildienst, 2007-2009 Ausbildung zum Rettungsassistenten. Seit 2009 Mitarbeiter der Uniklinik Aachen und seit 2012 in verschiedenen Funktionen (Ersatzmitglied, ordentliches Mitglied, freigestelltes Mitglied) im Personalrat der nichtwissenschaftlich Beschäftigten.
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